Temperatur? Nicht vorhanden. Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass der Lübecker 12-Kampf eine der coolsten Angelegenheiten der Neuzeit ist, dann ist er am Donnerstag auf dem Scharbeutzer Seebrückenvorplatz erbracht worden. Der NDR hatte im Vorfeld der Veranstaltung berichtet.
Direkt hinter dem Strand wartete eine gleißend weiße Eisfläche auf die 12-Kämpfer, die nach Billard, Kegeln und Bundesliga-Tippen endlich wieder standesgemäßes 12-Kämpfen vor sich hatten: Fußball und Wettrennen in blanken Sohlen auf nicht minder blankem Eis. Grip? Absolute Fehlanzeige! Genau das war der zentrale Punkt dieses Abends. Und die Kälte kam dabei nicht nur von unten.
Denn Petrus hatte für die Kämpfer noch eine weitere Herausforderung parat:
Bei minus fünf Grad Celsius ließ er einen schneidenden Südostwind auflandig mit fünf Windstärken aus Südost von der Kette, was sich durch den Windchill-Faktor sogar wie 15 Grad minus anfühlte. Die Kälte kroch schon nach wenigen Sekunden brachial bis in die letzten Muskeln und Knochen. Gottlob stand ein beheiztes Zelt fürs Umziehen und die Organisation zur Verfügung – ohne dieses hätte die Veranstaltung schlichtweg abgesagt werden müssen.
Aber auch sonst hatte Doppelchampion und Titelverteidiger Tea das Event gut vorbereitet und sogar in zwei Disziplinen aufgeteilt: Zunächst stand ein kurzes Slalom-Wettrennen auf dem Programm, dann folgte das Eisfußball-Turnier.
Für den nötigen Blutdruck und die gesunde Betriebstemperatur sorgte schon das Parieren der Kampfesmontur. Ein Helm war genauso Pflicht wie superglatte Sohlen. Die meisten legten zudem auch noch Knie-, Ellenbogen- und Handgelenkschützer an.
Doch wer jetzt glaubt, der Stil wäre auf der Strecke geblieben, der wurde vor allem von Stylemaster Steini eines Besseren belehrt. Der Promilledoktor hatte neben einer eleganten, engen schwarzen Glanzhose mit wahrlich atemberaubendem Schlag auch seine besten Tanzschuhe angezogen – John Travolta wäre vor Neid erblasst. Aber der hatte an dem Abend ja eh anderes vor.
Daneben erhielt auch Rocco wie so oft stehende Ovationen für seine traumhafte Couture-Creation: Unter einer äußerst geschmackvollen, bordeauxroten Cordhose heischten zart rosafarbene Bootsschuhe um die exquisite Aufmerksamkeit des geneigten Vogue-Lesers. Seine gefühlvolle Garderobensicherheit stand allerdings in krassem Kontrast zu seiner Kampfeseinstellung, wie sich später herausstellen sollte.
Damit der 53. Wettkampf trotz derlei Gockeleien nicht Eitelkeit versank, hatte Tea den sogenannten Equalizer erdacht: Um die Gleitunterschiede zwischen den leicht unterschiedlichen Sohlenbeschaffenheiten zu egalisieren, hatte er 500 strahlend blaue OP-Plastiküberzieher aus dem Krankenhausbedarf besorgt. Als die 12-Kämpder in ihnen Richtung Wettkampfstätte stapften, hätten ferne Beobachter auch von einer Gruppentherapie der geschlossenen Psychiatrie ausgehen können. Dieser Eindruck wurde sogar noch verstärkt, als der Slalom schließlich mit Gunman gestartet wurde.
In gebückter, tastender Haltung schlich, schlitterte und strampelte der hochgewachsene 12-Kämpfer um die Slalomstangen und sorgte mit einer Zeit von 1:07,79 Minuten für Erheiterung. Viele waren davon ausgegangen, dass die Strecke wesentlich schneller zu bewältigen sei – und machten sich entsprechend Hoffnung. Doch fast alle wurden kalt erwischt. Sogar der derzeit wohl heißeste Titelanwärter, Rocket, blieb gar über zwei Sekunden hinterm Gewehrmann.
Nur drei schafften es, knapp vor Gunman zu rutschen. Steini tanzte auf seinen Ledersohlen fast so anmutig wie Norbert Schramm um die Stangen und auch Neukämpfer Bär präsentierte die für einen Polizisten typische Standhaftigkeit. Nur einer war am Ende noch geschickter im Umgang mit der Reibungsarmut: ElUffo gewann den Slalom schließlich mit der Fabelzeit von 1:07,30 Minuten – ein Ergebnis, das später noch ganz besondere Relevanz haben sollte. Und es zeigte auch, dass die Kämpfer in ihren Leistungen allesamt dicht beieinander lagen – perfekte Voraussetzungen für ein hochspannendes Fußballturnier.
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Und das begann im direkten Anschluss. Die Eisfläche war nun in zwei Spielflächen mit jeweils zwei Toren eingeteilt. In den folgenden 36 Partien spielte jeder gegen jeden, eine Partie dauerte dabei jeweils vier Minuten.
Diese Zeit war lang, wie sich schnell herausstellen sollte. Denn die nur sehr unzuverlässige Verbindung zum Untergrund musste permanent von maximaler Muskelspannung, unendlich vielen kleinen Bewegungen und mentaler Hochkonzentration kompensiert werden. Fast alle pfiffen nach vier Minuten zumindest auf dem vorletzten Loch, manch einer hätte sich schon nach zwei Minuten das Ende der Partie gewünscht. Die extreme Temperatur jedenfalls war im Laufe der ersten Partien vergessen, alle dampften aus schweißnassen Mützen.
Denn alle waren auch bis in die Haarspitzen motiviert. Und das Eis verlieh dem sonst hinlänglich bekannten Fußballspiel einen ganz eigenen Charakter. Die Folge waren sehenswerte Matches mit tollen Dribblings, präzisen Bandenpässen, gekonnten Lobs und jeder Menge Toren.
Nur einer tat sich lange schwer. Ausgerechnet Neustarter Bär bekam bei seinem ersten gepunkteten Auftritt das hohe sportliche Niveau des Lübecker 12-Kampfes schmerzhaft zu spüren. Ihm wollte bis zu seinem letzten Match trotz vieler guter Chancen einfach kein Tor gelingen. Als er den blauen Ball dann schließlich doch noch zu einem Ehrentreffer im Netz versenken konnte, sank er vor Freude auf die Knie und unter heißem Szenenapplaus zog fast ein Hauch von Pathos durch die eiskalte Abendluft.
Eingangs befürchtete Verletzungen blieben nahezu aus, was vor allem auf die Regeln zurückzuführen war, die ein konsequent körperloses Spiel vorschrieben, das von den Spielern und Schiedsrichtern auch sehr gut umgesetzt wurde.
Nur einer hatte eine ganz eigene, rustikale Interpretation von Körperlosigkeit. Rocco warf sich mit solch außergewöhnlichem Elan und Grätschen in die Partien, dass er nicht einmal von zahlreichen Freistößen im Zaum gehalten werden konnte. Erst als er Blut sah, nämlich sein eigenes – in Folge einer ansonsten aber harmlosen Begegnung seiner Nase mit dem Eis – bremste er seinen Schaum sichtlich geschockt ein.
Als geschicktester Eisfußballer erwies sich indes Markolo. In seinen hautengen, mit Schaumstoff gepolsterten Hosen und markanten Schulterpolstern erinnerte er stark an ein erfolgreiches Pop-Duo aus den Achtzigern: Milli Vanilli. Einzig die langen Rastalocken fehlten, außerdem lagen seine Fähigkeiten eindeutig mehr im Schußbein als in der Sangeskunst (aber das konnten Milli Vanilli ja bekanntlich auch nicht).
Mit seiner typisch präzisen Spielweise verwandelte Markolo Partie um Partie in Siege und sah lange wie der Gewinner des gesamten Events aus. Dicht verfolgt von den ebenfalls ballstarken Kämpfern Gunman und ElUffo. Letzterer schaffte mit einem 5:0 gegen Bär sogar einen der beiden höchsten Siege des Tages.
Wer aber am Ende tatsächlich den Pokal mit nach Hause nehmen sollte, konnte sich bis zur Siegerehrung keiner so recht ausrechnen, weil die Wertung des Slaloms mit hinzugerechnet werden sollte.
Und genau dieses kleine Detail sorgte am Ende für eine große Überraschung. ElUffo konnte sich aufgrund seiner Topleistung im Slalom an Gunman und sogar Markolo vorbei ganz nach oben aufs Treppchen schleichen. Da er durchweg die beste Sicherheit auf dem Eis zeigte, reckte er am späten Donnerstagabend zu Recht den Pokal in den dunklen, eisigen Himmel über Scharbeutz.
Obwohl ElUffo Gründungsmitglied des Lübecker 12-Kampfes ist, war dies sein erster Sieg. Dementsprechend überschwänglich seine Freude. Noch bis in die Nacht postete er Fotos des Pokals über Whatsapp. Danke dafür und herzlichen Glückwunsch, Sieger!
Im Gesamtranking bleibt es richtig spannend. Eine vierer Gruppe, angeführt von Rocco, macht sich auf den Weg, ernsthaft um die Meisterschaft zu kämpfen. Noch ist aber die nächste Viererbande dran. Spannend auch, dass es in den ersten fünf Wettbewerben wieder fünf verschiedene Sieger gab. Doch der Spitzewert hier liegt bei 10 verschiedenen Sieger hintereinander in der Saison 2012. Überhaupt schaffte es in der Saison 2014 bisher nur einer, eiknen Platz schon zwei mal für sich zu reklamieren: Es ist der zweite Platze - und es ist natürlich Rocket. Und Rocket steht im Moment ganz, ganz vorne.